Wie soll man nun diese exotische Seite verstehen?

– Zuerst suche man seinen nächstgelegenen Wasserlauf, - ein kleines Rinnsal genügt schon -, und schaue, woher er kommt, wohin er fließt, aus welchem Gebiet er sein Wasser erhält.
Vielleicht ist das schon gar nicht so einfach, es können ja unermesslich viele Sonderfaktoren vorhanden sein:
- Mitten in der Stadt
- Im flachen Land
- Im Karstgebiet
- Am Meer

...

Bevor wir diese speziellen Gebiete behandeln wollen wir von einer einfacheren Situation im Binnenland ausgehen.
Wir überlegen also:

Wenn es bei mir zu Hause regnet, vielleicht einmal so ein richtiger Sturzregen, - wohin fließt dann das oberflächige Regenwasser ab?
Da das Wasser abwärts fließt, muss es also irgendeinen tieferen Punkt geben, zu dem es hinunterfließt!
– Hier kann man gute Logik üben! – Was folgt also daraus? –
Es folgt daraus, dass es solch einen tieferen Punkt geben muss, sonst säße man ja selbst im Wasser, da alles Wasser auf uns zufließen würde.
Zugegeben, es ist diese Überlegung im Bergland einfach, - schwierig im flachen Land: es entstehen vielleicht Pfützen, die gar nicht abfließen, sondern nach und nach versickern, - das wäre eben jetzt ein Spezialfall, den wir später erst behandeln wollen, wenn das Grundsätzliche einmal klar geworden ist.

1.  Also in einer genügend hügeligen Landschaft gibt es jeweils einen „niedrigsten“ Punkt, - wenn man den „näheren“ Umkreis betrachtet. Diesen merke man sich als „markante“ Stelle.

Wir haben also jetzt folgende Situation: Es regnet, das Wasser sammelt sich, fließt in einen kleinen Graben. Wir verfolgen diesen Wasserlauf im Graben. Er fließt vielleicht in einen kleinen Bach, - das wäre schon der Idealfall, - im schlechteren Falle fällt er in eine Regenkanalisation, - dann müssten wir herausbekommen, wohin der Kanal führt, - wahrscheinlich aber auch in einen Bachlauf, den verfolge man bis zum „Horizont“ in dieser „näheren Umgebung“.
Nun werden die Spezialisten sagen: Diese Daten liegen doch beim Entwässerungsamt, da könnte man sie leicht einsehen. – Das kann man natürlich machen, - es hilft sicher, komplizierte Verhältnisse zu klären. Die Hauptsache ist aber, dass man auf „Entdeckungsreise“ geht, um sich etwas zu fragen, - um sich dann auch „wundern“ zu können. Das innere „Erleben“ ist dabei das Wichtigste! 1
Nun kommen wir wieder an unsere Ausgangslage zurück und schauen, woher kommt denn dieser Graben? Wir verfolgen den Graben aufwärts und folgern:

2.    Es gibt also für diesen Wasserlauf im Graben eine „höchste Stelle“ im näheren Umkreis. Falls es wiederum ein Bach ist, so ist es bachaufwärts die Stelle, wo der Bach in unser „Gelände“ tritt.

3.  Nun schauen wir auf unseren „Horizont“. Wir gehen von einer hügeligen Landschaft aus und blicken rundum: in einer Richtung wird unser „Bach-Einlauf“, in einer anderen Richtung der Auslauf sein.
Wir sind heutzutage nicht daran gewöhnt, solchen grundsätzlichen Dingen irgendwelche Beachtung zu schenken. Das macht die ganze Welt eben so banal eindimensional. Das liegt aber nicht an der Welt, sondern an der Eindimensionalität des materialistischen Bewusstseins, in dem wir ja alle drinnen stecken.
Wer sich aber seelisch öffnet und mit besonnenem Blick seine nächste Umgebung in der beschriebenen Weise anschauen lernt, der wird sich „wundern“ lernen. Der wird erfahren, dass in seinem Gelände „Empfindungen“ verborgen sind, die er vorher gar nicht erlebt hat, die aber zweifellos „objektiv“ sind.
Wenn wir mit Kindern zusammen sind, haben wir oft die Gelegenheit uns in der angegebenen Richtung zu öffnen, weil Kinder selber auf Entdeckungen und Staunen hin angelegt sind. Für diese ist nichts selbstverständlich.

Stellen wir uns vor, wir blicken auf das mit obigen 3 Punkten abgesteckte Gelände, so werden wir uns sagen können:
4.   Wenn es auf diese Umgebung regnet, so sammelt sich alles Oberflächenwasser in unseren Bachlauf und fließt nach unten „in die Welt hinein“, der Bach selbst kommt unter Umständen schon mit Wasser aus dem oberen Punkt in „unsere Welt“.

Mit den Kindern gehen wir anfangs noch nicht kilometerweit. Die kindliche Sphäre erweitert sich erst nach und nach vom Wiegenumkreis, von verschiedenen Zimmerplätzen, von der Terrasse, vom Garten auf den Weg oder die Straße. Und es vergehen die ersten Kindheitsjahre, wo man in dem vertrauten Gelände, welches wir gerade abgesteckt haben, wo die meisten Entdeckungen und Abenteuer fürs Leben gemacht werden. Da sollte man nicht den Punkt verpassen, ein erstes Mal bewusst bis ans „Ende der Welt“ zu wandern. Das ist nämlich genau die Horizontlinie, die noch alles Gelände umschließt, aus dem das gesamte Wasser in unseren „vertrauten“ Bach läuft:

5.   Der Horizont steckt rundum noch das Gelände ab, von dem das Wasser in „unseren“ Bach fließt. Es ist das unmittelbare „Einzugsgebiet“ unseres Wohnsitzes, unserer „Welt“.
Diese aufgezählten Punkte sind keine mathematische Reihenfolge, sondern eine Hilfe für eine „Erlebnisreihenfolge“. Die wirklich „erlebte“ Welt in der wir leben ist sehr viel "bescheidener", als unser Weltbild, welches wir in unseren abstrakten Köpfen haben.


1.  Das wird man heutzutage kaum verstehen können: Das ist doch als völlig subjektiv auch genauso belanglos für die Welt, - so wird man meinen. Das stimmt aber nicht! Es sind nämlich die Gefühle genauso objektiv in der Welt, wie die Werte die wir zahlenmäßig messen können. Wenn wir uns kräftig „wundern“, dass ein Bachlauf plötzlich eine ganz andere als erwartete Wendung nimmt, so entspricht das eben der Objektivität dieser Besonderheit: Das Wundern liegt im Wesen der Sache. Und wenn man diesbezüglich feinfühlig ist, so kann man über diese „Gefühlswahrnehmung“ sehr viel mehr über eine Landschaft erkunden, als nur mit dem messenden Verstand.