Tempofragen

Die technische Zeit hat ihre Tücken! Und Musik ist wie alle Kunst einfach „Technik“,
nur eine solche, welche die Seele ansprechen soll!
Aber wo ist die Seele?
Eigentlich sollte es kein Problem sein, da die Seele da ist, wo wir uns wirklich als Mensch erleben.
Aber dieses menschliche Erlebnis ist nicht immer ungetrübt, - gerne lässt es sich mitreißen von
äußerlichen Faktoren.
Diese äußeren Faktoren sind in die Musik eingekehrt, als es in die Welt des Virtuosentums ging, das
Publikum mitzuziehen, aufzureizen, in den Bann zu ziehen.
Man denke da an die Erfindung musikalischer Mittel, wie etwa des Crescendos, wo, wie man sagt,
die Menschen im Saal vor Erregung "ohnmächtig" wurden, wie es auch noch bei der Erstaufführung
von Beethovens Schicksalssinfonie geschehen sein soll.
Dann denkt man an die Geschichten von Paganini, welcher das Publikum so in den Bann ziehen
konnte, dass alles den Atem anhielt, als z.B. mitten im spannendsten Vortrag eine Geigensaite riss:
was würde er tun, würde er das Konzert unterbrechen - nein, er spielte weiter, überbrückte die
fehlende Saite mit den verbleibenden und erhöhte dadurch noch die Faszination.
Sehr eindrücklich schildert dieses Vereinnahmen des Publikums Dieter Hildebrandt in seinem
"Roman des Klaviers im 19. Jahrhunderts": "Pianoforte". Hier schreibt er über Franz Liszt:
"Denn spürbar ist bei diesem Künstler, ist bei diesem endlich aufgetretenen Liszt, die
Grundsituation umgekehrt: Das Lampenfieber hat vom Publikum Besitz ergriffen, die Menschen
(wir alle hier) sitzen in nervöser Erwartung da, fassungslos und in vollem Wortverstand: von Sinnen.
Da steht er, Franz Liszt. Was wohl den Mann in diesem großen gespannten Augenblick bewegen
mag?
"
Und er zitiert dort auch treffend Claude Debussy, der dieses Phänomen in netter Weise karikiert:
"Die Anziehungskraft des Virtuosen auf das Publikum gleicht ungefähr der Anziehungskraft des
Zirkus auf die große Menge. Man hofft immer, dass sich irgend etwas Sensationelles ereignen wird:
Herr X wird Herrn Y auf seine Schulern nehmen und dabei Geige spielen, oder Herr Z wird, am
Ende seines Spiels, das Klavier mit den Zähnen hochheben.
" (Claude Debussy)
Das war 19. Jahrhundert. Im 20. Jahrhundert stand alles in einem anderen Lichte. So ein Phänomen
wie Franz Liszt kann nicht wiederholt werden, diese Epoche war vorüber. Nicht aber die
geschaffenen Werke! Die Aufgabe der Kunst wurde nun zur Frage: wie lassen wir die Werke
sprechen?

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